Als der Zug in Chengdu los rollte, stopfte ich mir gerade eine unreife, viel zu harte Kiwi in den Mund, während Daniel am Fenster sass und sich Wasser hinter kippte. Die goldene Regel für Ausflüge in hohe Lagen besagt, dass man viiiel trinken (4-6 Liter am Tag) und viiiel Obst essen soll. Das taten wir ausgiebig. Meine Nervosität auf die Zugfahrt glich meiner Flugangst, nur schlimmer, als fliege ich mit einer afrikanischen Fluggesellschaft durch den Kongo, bei Sturm und Regen. Zuviel habe ich über die Höhenkrankheit gelesen, die 30 – 40 % der Reisenden trifft und die beschriebenen Symptome (unerträglicher Kopfschmerz, Übelkeit, Schwindel, Verwirrtheit und Kontrollverlust) reichten aus um mich verrückt zu machen. Bei Ignorieren der Symptome, kann dies zum Tod führen. Treffen kann es jeden. Sportler sowie faule Raucher!
Trotzdem war ich viel zu neugierig als dass ich aus Angst diese Reise nicht wagen würde. Wir buchten uns den Hardsleeper, eine offene Kabine mit sechs Betten, jeweils drei Betten übereinander. Daniel lag in der Mitte und ich lag wie eine Ölsardine ganz oben.
Abfahrt war am Abend gegen 21 Uhr. Wir krochen recht bald auf unsere Liegen und schliefen schnell ein. Auch der nächste Tag verlief entspannt und wir sassen im Wagon zwischen Chinesen und Tibetern, assen, tranken und gafften gemeinsam aus dem Fenster. Nachdem wir die Städte langsam hinter uns liessen, vereinsamte die Landschaft draussen immer mehr. Rechts und links des Zuges grasten einsame Yaks oder Hirsche und schlenderten über die Permafrost Böden. Hier und da sah man auch einen Mensch spazieren gehen. Wir waren soweit froh, dass es uns soweit sehr gut ging. Jedoch waren wir noch nicht über 3000m.
Am Abend passierten wir die letzte grössere Stadt Golmud. Ab hier geht es dann stetig aufwärts bis man den Tanggula-Pass auf 5072m überquert. Anschliessend bleibt der Zug fast konstant auf über 4500m. Nach Abfahrt des Zuges aus Golmud wird automatisch Sauerstoff in den Zug gelassen. Über jedem Bett ist eine kleine Klappe und wenn man diese öffnet, stösst Sauerstoff durch ein kleines Rohr. Aufgrund der Akklimatisation für Lhasa wird der Sauerstoffgehalt trotzdem gering gehalten. Ich war frohen Mutes und während der Fahrt verflog meine Nervosität völlig. Doch dann kam der nächste Morgen und belehrte mich eines Besseren.
Ich wachte gegen 8 Uhr auf und kletterte von meiner Liege ganz oben nach ganz unten. Ankunft in Lhasa war gegen 17 Uhr. Ich setzte mich auf den Klappstuhl im Gang und starrte aus dem Fenster. Schon beim Aufstehen fühlte ich so einen unangenehmen Schwindel. Ich lief zum vorderen Teil des Wagons und schaute auf ein Gerät welches die Höhe anzeigt. Wir fuhren auf ca. 4600m. Plötzlich kam zum Schwindel ein starkes Stechen im Kopf hinzu. Binnen Minuten verschlechterte sich mein Zustand drastisch. Ich wankte zurück in unser Abteil und kletterte schnell wieder auf meine Liege und kniff die Augen zu. Daniel gab ich nur in kurzen Lauten zu verstehen, dass es mir nicht gut geht. Zu diesem sich steigernden Kopfschmerz überfiel mich zusätzlich eine starke Übelkeit und ich merkte, dass das so nicht gut gehen wird. Ich kletterte die Liege wieder runter. Unten angekommen musste ich mich kurz auf der untersten Liege ausruhen, weil ich aus der Puste war. Dann stürmte ich in den Gang und suchte das Klo auf. Rechtzeitig und strahlartig ins Klo! Es wurde jedoch immer schlimmer. Ich wiederholte mich. Liege klettern, zusammenkrümmen und wieder runter klettern, Klo suchen. Ich fühlte mich, als hätte ich den Kater meines Lebens, als hätte ich nen Kanister Vodka gesoffen, nur blieb der Spass hier völlig aus. In meinem Kopf spielte ne Heavy Metal Band. Ich torkelte wieder den Gang lang und schloss mich im Klo ein. Der Wind stiess das kleine Klofenster auf und dünne eiskalte Luft schoss in diesen 2qm grossen Raum. Ich fand die Kälte irgendwie angenehm. Ich kotzte mir die Seele aus dem Leib. Wieder quälte ich mich nach oben auf die Liege und lag in Embryonalstellung und hoffte, dass es bald vorbei ging. Ich schlief phasenweise ein und wurde von bizarren Träumen begleitet: Ich schaute aus dem Fenster, da liefen Elefanten und Giraffen, auf denen Leute ritten, die ich alle kannte. Sie lachten mich aus. Dann war unser Abteil plötzlich voller Affen, die alle Apfel assen und das Geräusch des Abbeissens tat mir in den Ohren weh…
Ich schreckte hoch und suchte Daniel im Abteil, meinen Realitätsbezug in diesem Moment. Er lächelte mich an und ich kniff die Augen beruhigt wieder zu.
Später schnappte ich englische Gesprächsfetzen auf, zwischen Daniel und unseren chinesischen Gästen im Abteil, welche, wie üblich in China, ein sehr schwer verständliches Englisch sprachen. Während ich ganz oben lag wie ein Stück Gepäck auf ner Ablage, hörte ich unten folgendes Gespräch:
Daniel fragte den Chinesen: „ Warst du schon mal in Lhasa?“
Chinese: „Ja, ich habe da 45 Jahre gearbeitet!“
Daniel:“ Ah, wie alt bist du denn?“
Chinese: „ Ich bin 40 Jahre alt.“
Daniel : „Aha“
Dann war es still im Abteil.
Ich war zu nichts in der Lage. Ich verpasste all die schönen Landschaften, welche ich mir später auf Fotos ansah, die Daniel gemacht hat. Nur einmal rutschte ich ans vorderste Ende meiner Liege und erhaschte einen Blick aus dem Fenster. Der blaue Himmel und die weissen schneebedeckten Berge, die mit dem Zug auf Augenhöhe waren, schmerzten in meinen Augen. Zu erschöpft rollte ich mich mit dem Gesicht wieder gegen die Wand. Ich wollte endlich ankommen, mich in einem richtigen Bett verstecken und schlafen, bis dieser Kopfschmerz und diese Übelkeit endlich aufhörten.
Es war 5 Minuten vor Ankunft in Lhasa als ich aufstand, mir irgendwie die Schuhe anzog und mir meinen riesen Rucksack auf den Rücken schnallte. Ich hatte das Gefühl einen grossen Fels auf meinem Rücken zu tragen. In Zeitlupe stiegen alle Reisenden aus und bewegten sich Richtung Ausgang des Bahnhofs, wo wir unseren Guide und unsere beiden belgischen Kumpanen trafen, welche wir in einem Forum kennen gelernt und wir zusammen eine Gruppe für unsere Tibet Tour bildeten. Somit kostete uns alles nur die Hälfte. Ich schmiss mich ins Auto und wir fuhren zu unserem Hostel. Dort schlief ich sofort ein und als ich am späten Abend wieder erwachte ging es mir gut. Richtig gut.
Wie sich später rausstellte muss dies einfach ne fiese Migräne Attacke gewesen sein. Später stand ich auf 5250m und hatte nichts bis auf ein wenig Kurzatmigkeit.
Danke dafür!
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