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„Wat?! Da soll ick rüber?“

Bevor wir unsere 3-tägige Wanderung durch die Tigersprungschlucht in Yunnan antraten, machten wir uns im Internet und Reiseführern verrückt durch all die Warnungen über diese Schlucht. Gerne stürzen hier die Wanderer in den Tod. Schmale dünne Pfade entlang am Klippenabhang, steiler Anstieg auf ca. 2800m und auch wieder ein verdammt steiler Abstieg um an den tiefsten und schmalsten Punkt der Schlucht zu gelangen. Bei Regen sollte man zum Beispiel komplett von dieser Wanderung absehen.


Am ersten Tag mussten wir uns den sogenannten 28 Bends stellen, einem brutal steilen Aufstieg beim dem es im Zick Zack kurvenartig noch oben geht. Es ist kein Wanderweg in diesem Sinne, es ist eher ein dünner Pfad übersät mit Steinbrocken, welche irgendwie provisorisch stufenartig angelegt sind. Dieser Aufstieg war so extrem anstrengend, dass wir uns nur mit Mühe nach oben tragen konnten. Sowohl Beine als auch Arme kamen bei diesem Aufstieg zum Einsatz. Innerhalb einer Stunde steigt man von 1900m auf ca. 2800m. Unsere Lunge pfiff wie nie. Dazu wieder diese brutale Hitze. Immer wieder schmissen wir uns regelrecht in die kleinen schattigen Flecken, noch immer mit dem Rucksack auf dem Rücken. Zu schwach um diesen noch abzulegen. Wir machten fast alle 15 Minuten eine Pause, weil der Puls wie wild raste und die Atmung nicht so recht hinterher kam. Am ersten Tag brauchten wir knapp 6 Stunden um am Tea Horse Guesthouse anzukommen. Auch dort schmissen wir uns sofort aufs Bett, immer noch den Rucksack auf dem Rücken. Die Beine schmerzten und die Waden brannten. Dafür wurden wir mit einem tollen Ausblick auf die Haba Snow Mountains belohnt und in der Nacht war der Himmel überflutet mit Sternen und sogar die Milchstrasse lag direkt über uns.



Am zweiten Tag hiess es den „gefährlichsten“ Teil der Wanderroute zurück zu legen. Als wir vom Guesthouse aufbrachen liefen uns lauter Hühner mit all ihren Küken über den noch gemütlichen Weg. Hier und da stand auch mal ein Schwein rum und grunzte. Wir waren frohen Mutes und wanderten los. Wie auch schon am ersten Tag sprang hier und da ein Chinese aus dem Busch und verlangte Geld, sogenanntes Weggeld, da sie den Weg errichtet haben. Das ist recht üblich auf dieser Wanderung und somit zahlten wir brav die Gebühr, obwohl wir zuvor bereits eine ordentliche Eintrittsgebühr für die Schlucht gezahlt haben.

Vorerst noch auf annehmbaren kleinen Pfaden verengten sich diese zunehmend und die steilen Abhänge der Schlucht kamen immer näher. Irgendwann ging es einen halben Meter neben uns steil hinab in die Schlucht. Konzentration war gefordert. Schön immer einen Fuss vor den anderen setzen und versuchen nicht nach unten zu schauen. Zu allem Überfluss lag dann plötzlich ein Wasserfall vor uns, welcher sich seinen Weg über den Pfad suchte und dann steil in den Abgrund fiel. Nun ja, irgendwie mussten wir den überqueren. Im Wasser lagen grosse und kleine Felsbrocken und langsam stiegen wir durch das Wasser über die Steine. Ich wollte eine Abkürzung über einen grünlich schimmernden Stein nehmen, welcher sich als arschglatt entpuppte und ich seitlich ausrutschte und mich instinktiv nach links auf die Seite Richtung Felswand schmiss. So viel Adrenalin auf einmal schoss mir noch nie durch den Körper. Jedoch kam ich nass und lebend wieder auf der anderen Seite an.

Dann schlichen wir weiter an der Felswand entlang mit Angstschweiss auf den Händen. Plötzlich war hinter uns eine grosse Horde von Pferden, welche auch den Pfad am Schluchtrand überquerten. Wir hatten Panik nur beim Hinsehen, weil wir die Vorstellung gar nicht mochten, wie es wohl aussehen mag, wenn ein Pferd die Schlucht hinab stürzt. Schnell waren wir wieder mit uns beschäftigt und liessen die Pferde hinter uns. Weniger erschöpft, jedoch fertig von den Adrenalinausstössen kamen wir an Tina`s Guesthouse an. Hier assen wir, als hätten wir eine Woche nichts zu essen bekommen.




Am dritten Tag hiess es, dass man in die Schlucht absteigen kann, dies jedoch ein sehr steiles und anstrengendes Unterfangen wäre. Doch wir wollten uns natürlich das Gesamtpaket reinziehen und latschten wieder frohen Mutes an der Hauptstrasse entlang um dann eine Treppe nach unten zu nehmen. Diese wechselte in riesige Steinbrocken, auf welche wir hinunter in die Schlucht stiegen. Wir stellten fest, dass dieses verdammt steile Absteigen verdammt anstrengender war als nach oben zu steigen. Das Geräusch des rauschenden und gegen die Felswände knallenden Flusses in der Schlucht wurde immer lauter, es war fast Ohren betäubend. Also wir unten ankamen, mussten wir wieder Geld bezahlen um über eine sehr provisorische Hängebrücke auf den legendären Stein zu steigen, von dem der Legende nach ein Tiger über den Fluss sprang. Ohne gross darüber nachzudenken, flitzten wir über die sehr wacklige dünne Hängebrücke. Und da stand man dann, mitten in dem reissenden Fluss auf dem wieder verdammt glatten Stein. Die Vorstellung nach links oder rechts abzurutschen verzehrte uns die Gesichter. Schnell machten wir die obligatorischen Bilder und hangelten uns schnell wieder über die Brücke zur sicheren Seite.




Nun hiess es, den Weg wieder nach oben zur Hauptstrasse anzutreten. Wir können sagen, es war das anstrengendste und beängstigendste was wir je getan haben. Zuvor zogen wir uns wieder die Steine nach oben. Die Kräfte neigten sich langsam dem Ende zu und dann lag sie plötzlich vor uns: The Sky Ladder!

Versteckt hinter einem kleinen Lädchen stieg die Himmelsleiter steil knapp 30m in die Höhe. Diese Leiter war eine Abkürzung und wir wollten doch das komplette Programm durchziehen. Ich stellte mich an das unterste Ende und schaute mit zusammen gekniffenen Augen hinauf. Die Sonne blendete. Wir schauten uns kurz an, sprachen kaum ein Wort. Der Atem war noch immer sehr schnell. Wieder überlegten wir nicht lange und Daniel kletterte als erstes los. Es ist eine simple Metallleiter mit keinerlei Sicherung. Fällt man runter, ja dann fällt man eben runter. Als Daniel auf der Hälfte war, kletterte ich auch los. Den Rucksack jeweils als zusätzliches Gewicht auf dem Rücken. Ich schaute stur zwischen die Sprossen an die Felswand. Auf der Mitte stand an der Felswand geschrieben „You can do it“. Nach halber Strecke liess die Kraft nach. Plötzlich fingen die Beine unkontrolliert an zu zittern. Daniel erging es nicht anders. Ich krallte mich mit den Händen fest und wagte es keine Sekunde nach unten zu schauen. Irgendwann fangen dann die Selbstgespräche an. Immer die Felswand anstarrend, Sprosse für Sprosse nach oben. Dann sang ich wahllos Lieder vor mich her. Ich schaute ab und zu nach oben. Daniel war mittlerweile von der Leiter verschwunden und sass oben. Er wagte es nicht, noch mal einen Blick nach unten zu werfen. Er starrte nur auf die obige letzte Sprosse und wartete meine Hände und meinen Kopf zu sehen. Der Aufstieg dauerte bei uns ca. 10 Minuten. Wir, die Unsportler, die Angsthasen, die alles Hinterfragenden. Als ich oben ankam, schmiss ich mich neben Daniel. Wir waren irgendwie überwältigt. Wir gaben uns ein „High Five“ und starrten die gegenüberliegende Felswand an.



Dann hiess es den letzten Abschnitt nach oben zu klettern. Wir waren so verdammt kraftlos. Wir waren der Sprache nicht mehr mächtig. Nur noch pfeifende Flüstertöne kamen aus unserem Mund. Immer wieder standen Chinesen mit einem Pferd neben uns und baten uns an, gegen viel Geld natürlich, dass wir uns über ihr Pferd werfen können und dieses uns nach oben trägt. Aber nein, wir zogen durch und stiegen weiter hinauf. Wir konnten die Hauptstrasse bereits sehen. Es kam uns eine Ewigkeit vor. Dazu wieder die knallige Hitze über unseren Köpfen. Aber wie schafften es und sassen völlig erschöpft am Strassenrand. Wir rissen uns die Schuhe von den Füssen. Wir haben’s geschafft. Die gesamte Route. Jemand sagte mal, dass die Wanderung durch diese Schlucht dein Leben verändert. Nun ja, das ist der Moment in dem wir unsere Grenzen aufgezeigt bekommen haben und sie nun Stück für Stück weiter stecken können. Wenn man so will dann hat uns die Schlucht wirklich ein Stück weit verändert.



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